Wie erinnern sich Tiere an vergangene Erlebnisse? Können sie sich an Freunde erinnern oder an Feinde? Und was bedeutet das für ihren Alltag, ihr Sozialverhalten und ihr Wohlbefinden?

Dank moderner Verhaltensforschung und Neurowissenschaften wissen wir heute: Tiere verfügen über erstaunliche Formen des Gedächtnisses. Ihre Erinnerung dient nicht nur dem Überleben, sondern auch der sozialen Bindung und stellt uns Menschen vor spannende ethische Fragen.
Mehr als Instinkt: Tiere erinnern sich
Lange Zeit glaubte man, Tiere seien reine „Reiz-Reaktions-Wesen“ – also primär vom Instinkt gesteuert. Doch Experimente zeigen heute, dass viele Tierarten Erlebnisse abspeichern, vergleichen und sogar zukünftiges Verhalten daraus ableiten können.
Ein bekanntes Beispiel: Eichelhäher verstecken Nahrung und erinnern sich später nicht nur wo, sondern auch was sie versteckt haben und wann. Verdorbene Lebensmittel holen sie seltener wieder hervor. Das weist auf eine Erinnerung an bestimmte Erlebnisse hin, wie wir es auch von Menschen kennen.

“Nutztiere” mit Erinnerungsvermögen
Kühe, Schweine, Hühner, sie gelten in der Gesellschaft oft nicht als fühlende Individuen, sondern als sog. „Nutztiere“ oder zumindest weniger schlau, klug und süß als andere Tiere. Dabei zeigt die Wissenschaft: Sie verfügen über komplexe kognitive Fähigkeiten, darunter auch Formen des Langzeitgedächtnisses.
Schweine erinnern sich an Futterquellen, soziale Rangordnungen und frühere Erfahrungen mit bestimmten Menschen. Sie erkennen sogar ihren eigenen Namen.
Hühner merken sich, welche Artgenossen sie gemocht oder gemieden haben – sie lernen aus Beobachtung und erinnern sich an Belohnungen und Bestrafungen.
Kühe entwickeln tiefe soziale Bindungen, erkennen ihre Kälber über lange Zeit und leiden sichtbar, wenn sie getrennt werden.
Wenn diese Tiere in der Massentierhaltung unter extremen Bedingungen leben, speichern sie diese Erfahrungen nicht nur körperlich, sondern auch psychisch ab. Die Erinnerung daran prägt ihr Verhalten – auch lange nach der Rettung.
Was gerettete Tiere mit sich tragen
Viele der Tiere, die ANINOVA rettet, zeigen anfangs große Unsicherheit, Stress oder Misstrauen. Diese Reaktionen sind oft nicht nur aktuelle Angst, sondern gespeicherte Erinnerungen an Enge, Lärm, Misshandlung oder Isolation.
Doch es gibt auch Hoffnung: Mit Geduld, Sicherheit und Zuwendung erleben wir immer wieder, wie sich Tiere “neu erinnern lernen”: an Fürsorge, Freiheit, an Sonne und frisches Gras. Ihr Verhalten verändert sich, weil sie sich neue positive Erfahrungen merken können.
Ein Beispiel dafür sind die vier Ferkel Malte, Phia, Hubi und Broder, die wir aus einer Schweinezucht gerettet haben. Sie waren früh von ihrer Mutter getrennt worden und zeigten sich in der Anlage sehr unsicher und ängstlich. Doch auf dem Lebenshof veränderte sich ihr Verhalten, sie blühten auf und heute wirken sie gelassen, neugierig und zutraulich. Es scheint, als hätten sie gelernt, dass von Menschen nicht nur Schmerz, sondern auch Zuwendung, Schutz – und jede Menge Futter – kommen kann.
Auch Uxi, die als Zwillingskalb in einem Milchbetrieb zur Welt kam und ihrer Mutter schon kurz nach der Geburt entrissen wurde, trug ihre Erfahrungen lange mit sich. Weil sie aufgrund ihrer Unfruchtbarkeit als „wertlos“ galt, sollte sie früh geschlachtet werden, obwohl sie gesund war. Auf dem Lebenshof durfte sie zum ersten Mal selbst entscheiden, wie sie leben möchte. Noch immer ist Uxi eher zurückhaltend, aber neugierig und sie genießt ihre Freiheit, die Gesellschaft anderer Kühe und die ruhigen Momente auf der Weide. Mit jedem Tag scheint sie ein Stück mehr zu begreifen: Hier wird sie nicht mehr ausgebeutet, sondern gesehen, respektiert und in Frieden gelassen.
Was wir noch nicht wissen
Trotz vieler Fortschritte stehen wir noch am Anfang. Wie genau Erinnerungen im Tiergehirn gespeichert und abgerufen werden, ist noch nicht in vollem Umfang verstanden. Auch wissen wir kaum, wie Erinnerungen bei weniger erforschten Arten wie Fischen, Reptilien oder Insekten funktionieren.
Doch eines ist sicher: Die Fähigkeiten vieler Tiere, sich zu erinnern – an Orte, Begegnungen, sogar an Gefühle – ist beeindruckend. Und sie fordert uns heraus, unser Bild von Tieren immer wieder neu zu überdenken.